Die Kraft deiner Ahninnen…

on 29. Mai 2022

In den letzten Wochen spüre ich meine Großmutter, und auch meinen Großvater sehr. In den letzten zwei Jahren haben sie mich begleitet. Denn sie haben eine der schlimmsten Zeiten erlebt (wenn mal von Hexenverbrennungen und co absieht), Krieg, Verfolgung und Hass. Sie wurden in eine Zeit geboren, in der sie ihre wahren Werte verstecken mussten, um zu überleben. Sie mussten sich einem Regime unterordnen, dass sie unter Androhung von Gewalt und anderen Mitteln dazu brachte, Menschen zu hassen oder sogar zu verraten, die zuvor ihre Freunde waren. Es gab Berufsverbote für Menschen die gegen das Regime waren, und viele rätselhafte Verhaftungen und Gefängnisstrafen brachten Regimegegner in die Angst und Flucht.
Dieses Regime unterteilte Menschen in „lebenswert vs nicht lebenswert“. In diesem Regime war es so gewollt Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft oder Sexualität anzuklagen und umzubringen, ja sogar für medizinische Experimente zu missbrauchen.

Kürzlich erfuhr ich, dass meine Großmutter offenbar die einzige ihrer Herkunftsfamilie war, die gegen das Regime war. Sie war eine Künstlerin in ihrem innersten Wesen, schrieb Gedichte, hatte eine feine Seele, trotz all der Entbehrungen, die sie in Kindheitstagen erlitten hatte. Ihre große Liebe wurde vom Regime umgebracht, oder besser gesagt, als Folge derer Verhörtaktiken überlebte er den zweiten Weltkrieg nicht.
Aber wenn sie nicht danach ihren Mut wiedergefunden hätte, und eine zweite Liebe, meinen Großvater, dann wäre ich nicht hier. Mein Vater, mein Onkel, es gäbe sie nicht. Wir würden nicht existieren, wenn meine Großmutter nicht an die Liebe und Freiheit geglaubt hätte. Ihrem Kampf verdanke ich nun mein Sein. Den Spagat den sie zu überwinden hatte, zwischen dem Überlebens als Witwe in der Kriegszeit (die ihre Prinzipien nicht versteckte), und einer Frau die ihre Familie erhält (sie hatte zu dem Zeitpunkt zwei Mädchen großzuziehen).

Ich bewundere sie. Sie und meine Mutter. So starke Frauen. So unterschiedliche, aber voller Liebe und mit einem selbstverständlichen täglichen Leben von grundlegenden Menschenrechten. Beide haben alles für ihre Kinder getan, ohne jemals ihre Grundwerte zu verraten, noch besser, sie haben es bis zu mir gelehrt.

Ich muss mich nicht fragen, woher mein Streben nach grundlegenden Werten des Menschseins liegt. Ich weiß es. Es ist das Erbe meiner Ahninnen. Das Erbe ist nicht, dass sie Häuser wieder aufgebaut haben, nicht dass sie Gewalt von Soldaten und Menschen überlebt haben, oder dass sie ihre Leben und Karrieren für ihre Familie geopfert haben.

Das Erbe meiner Ahninnen ist der Mut und die Liebe für Freiheit und Humanität einzustehen. Meine Großmutter und meine Mutter würden in diesen Tagen auch ihre Meinung kundtun. Denn niemals würde ihnen in den Sinn kommen, dass jemand eine medizinische Behandlung GEGEN seinen Willen zu bekommen hat. Sie würden uns alle an unsere grundlegenden Menschenrechte erinnern, und dass damals als das Regime zu Fall gebracht war, alle sagten „Niemals wieder“. Ja, niemals wieder darf die dunkle Zeit in unsere Welt Einzug halten. „Denn alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ . Niemand hat das Recht jemand anderen in seiner Freiheit und Würde zu beschränken, ihn zu erpressen oder unter Druck zu Handeln zu zwingen. Menschenrechte sind eigentlich einfach, wenn man sein erhöhtes Ego einfach mal rauslässt.

Es ist so einfach. Ärzte sollen heilen, Pädagogen sollen lehren, Pfleger sollen pflegen, Journalisten sollen die Wahrheit erzählen, Polizisten und Bundesheer sollen die Menschen beschützen und Verbrechen aufklären und Regierungen sollen die grundlegenden Werte einer Demokratie pflegen und im Sinne ihrer Bevölkerung handeln. Wenn wir das erreicht haben ist alles gut, und keiner muss sich mehr damit beschäftigen, was eigentlich so alles in der Menschenrechtserklärung steht, oder im Nürnberger Kodex

Und daher, auch wenn wir grade einen „Summer of love“ vorgespielt bekommen, denken wir alle daran „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten“ und benehmen wir uns im nächsten Herbst ein bisschen menschlicher.

In Freiheit und Liebe, Vergebung, Würde und Respekt und in Anerkennung der Leiden die niemals umsonst gewesen sein sollen und der AhnInnen ohne die wir heute nicht hier wären.

https://www.derstandard.at/story/2000093333680/alle-menschen-sind-frei-und-gleich-an-wuerde-und-rechten

https://de.wikipedia.org/wiki/Nürnberger_Kodex

Übrigens, dieser Beitrag entspricht meinem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art.19 der Menschenrechtserklärung) und spiegelt nur meine persönlichen Erfahrungen wider.

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