Entwicklungssprünge – Theorie und Praxis

on 2. November 2016
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Mein Sohn war immer ein ausgeglichenes Kind. Ich bin eine von den Müttern, deren Kind kaum Dreimonatskoliken oder ähnliches hatte. Dafür hatten wir allerdings in seinem ersten Lebensjahr sehr viel andersartige Veränderungen zu meistern. Temporäre Umzüge, Trennung, richtiger Umzug, Neubeginn in anderem Bundesland, es waren schwierige Zeiten, emotional und physisch, für uns beide. Er hatte mit seiner Neurodermitis zu kämpfen, ich ab letztem Herbst mit einer Schilddrüsenerkrankung (auf beides gehe ich in gesonderten Blogposts genauer ein). Das Leben hat uns also ordentlich auf Trab gehalten.

Nun ist quasi Ruhe eingekehrt. Seine Neurodermitis ist gut im Griff, das Verhältnis zu seinem Papa sehr gut, und unsere neue Wohnung endlich unser Zuhause. Menschen die wir als unsere Freunde sehen können. Es geht uns gut.
Und nun, nach der Krippeneingewöhnung, nachdem alles geschafft ist, merke ich wirklich bewusst, was es bedeutet einen Entwicklungsschritt zu erleben und zuzulassen.

Theoretisch weiß ich das ja alles. Alles schon gelesen, gelernt, mit der Muttermilch aufgesogen. Unsere Kinder haben ab einem bestimmten Alter, meist ab zwei, immer wieder mal Wut und Trotzphasen. Vor allem wenn sie sich kognitiv entwickeln, aber der Körper nicht so mit will wie sie. Auch wenn sie ihre Selbstständigkeit entdecken, können sie dieses neue Empfinden mit sehr widersprüchlichen Gefühlsausbrüchen vertreten. Sie wüten, toben und schreien. Sie wollen mit aller Kraft durchsetzen, was sie für diesen Moment als (über)lebensnotwendig erachten. Es ist eine normale Entwicklung, die eigentlich nur zeigt, dass das Kind seine Persönlichkeit entdeckt, und diese auch vertritt, und manchmal auch auslotet wie weit das nun geht.

Foto Pixabay.com

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Es ist eine Sache dies theoretisch zu wissen, aber eine ganz andere, das als Mutter zu erleben. Nachdem mein Kleiner gute fünf Wochen mit diversen Verkühlungen krank war, ist er sehr unausgeglichen. Zudem macht er auch einen klassischen Entwicklungsschritt durch, bei dem er zum ersten Mal seine Selbstständigkeit wahrnimmt, und auch dass er quasi getrennt von mir existiert. Mit seiner zunehmenden Mobilität (er erklimmt jedes Hindernis dass ihm im Weg ist) und sich entwickelnder Sprache (sein Sprachwortschatz erweitert sich täglich), merkt er auch, dass er seine Entscheidungen selber beeinflussen kann. Das stellt uns tagtäglich vor das wiederkehrende Problem, dass er zumeist das Gegenteil von dem will, was ich als seine Mutter für ihn möchte.  Im selben Zuge seiner aufkeimenden Selbstständigkeit wird auch der Hang zu mir wieder stärker. Denn er merkt selber, dass er mit zunehmender Entscheidungsfreiheit auch die Mama immer mehr loslässt. Also sind wir in einem ständigen Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz. Teilweise funktioniert beispielsweise das Niederlegen nicht mehr. Er turnt wie ein Wilder am Bett, und kann gar nicht zur Ruhe kommen (Es gibt übrigens Bachblüten Globuli, die helfen ein bisschen beim wieder runterkommen). Wenn allerdings sein Vater ihn niederlegt, der glücklicherweise jetzt sehr häufig bei uns ist, dann kann er mit ihm auch eine halbe Stunde Buch lesen und dabei einschlafen. Wieder so ein klassisches Entwicklungsthema, Kinder triangulieren (so heißt es so schön theoretisch in der Fachsprache). Im Alltag geht es dann häufig genau um solche Kleinigkeiten. Manchmal geht etwas mit dem einen Elternteil einfach nicht, da ist es kein Drama auf das andere Elternteil zurückzugreifen. So merken die Kinder, dass sie nicht nur von einer Person alleine abhängig sind, sondern auch eine zweite Person ihnen Unterstützung bieten kann.

so kann ich zusammenfassend folgendes bestätigen,

  • wenn unsere Kinder besonders grantig und schwierig sind, dann machen sie meist einen Entwicklungsschritt.
  • Häufig gerade dann wenn sie krank sind, nehmen sie sich die Zeit auch noch andere Gebiete zu entwickeln.
  • Sie brauchen beide Elternteile, und egal wie die Familienkonstellation ist (zusammen, getrennt, alleinerziehend mit Kind etc), man muss dafür Sorge tragen dass die Kinder Vertrauen zu beiden Elternteilen fassen können. (Wenn es von Vorteil für das Kind ist) Wenn der andere Elternteil einfach gar nicht zur Verfügung steht, findet am Besten eine Vertrauensperson des entsprechenden Geschlechts bei dem das Kind diese Rolle zuordnen kann.
  • Ja, wir sind ihre Eltern, und das bedeutet wir müssen ihnen auch manchmal Grenzen setzen, ein zweijähriges kann einfach nicht wissen ob Zucker gesund ist oder nicht, oder wieviel es fernsehen kann, oder, oder, oder. Grenzen kann man übrigens auch liebevoll, aber immer noch konsequent setzen. Klingt super in der Theorie, ist mörderanstrengend in der Praxis.
  • Und – das wichtigste von allem – wir sind alle nur Menschen, und es ist vollkommen egal was ich je gelernt oder studiert habe. Ich bin Mama so wie alle anderen Mütter der Welt. Wenn ich Hilfe brauche, muss ich mir die holen. Kein Buch der Welt wird mir je das Gefühl erklären dass ich habe wenn ich mich hilflos fühle. Und ja – es ist normal sich hilflos zu fühlen. Und – seid getröstet – es geht vorbei, vergesst nie das Mantra “es ist nur eine Phase”, denn was auch immer es für eine ist, sie geht vorbei und irgendwann ist sie nur mehr eine Anekdote die ihr eurem Kind erzählt wenn es älter ist. Glaubt an euch und eure Intuition als Mütter, und wenn euch die Luft ausgeht, holt euch Hilfe!!! Es braucht ein Dorf um ein Kind zu erziehen, und das nicht ohne Grund. Niemand kann das alleine, und das sollte auch niemand von sich oder anderen verlangen.
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Und um euch ein wenig zu trösten, ich habe die Notizen zu diesem Post vor etwa einer Woche geschrieben, und jetzt wo ich sie tippe, merke ich, dass mein Spross seinen Sprung langsam schafft. Zwar ist er immer noch anhänglich und häufig widersprüchlich, aber ich merke tagtäglich, dass er langsam das Gelernte integriert, und wieder ausgeglichener wird. Ich möchte euch damit einfach nur sagen, “es ist nur eine Phase”, und die geht IMMER vorbei.

 

 

 

 

(wers ganz genau wissen will, als Buchtipp: Babyjahre, Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren, Remo H. Largo, ist sehr ausführlich und informativ)

 

© katharina gindra-vady, oktober 2016
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