Zwei Ereignisstränge laufen sich bei uns gerade über den Weg. Zum einen schaut mein Sohn liebend gern Biene Maja, und zum anderen sehe ich häufiger Dokus oder Berichte über ADHS.
Da ich mit meinem Kind die Biene mit ansehe (Medienkompetenz trainiert man auch indem man die Inhalte der Sendungen überprüft, die die Kinder sehen) fiel mir auf, dass in der heutigen Gesellschaft die lustige und quirlige Biene als ADHS Kind eingestuft würde, und je nach Familienstatus die Eltern schnell mal zur Pille gegriffen werden würden.
Aber sehen wir uns meine Behauptung einmal näher an.
Biene Maja ist die Biene im Stock, die aus der Reihe tanzt. Sie formt Blüten aus Wachs, wenn sie Waben formen sollte. Sie bringt die Reihe der Bienenträger durcheinander, reißt kleine Leuchtblumen einfach aus, und tanzt wild im Bienenstock. Sie will lieber in einer Blüte schlafen, anstatt im Bienenstock. Sie fühlt sich als Teil der Bienengesellschaft, will aber als individuelle Biene ihr Leben selber gestalten. (Wer sich gerne selber davon überzeigen will, auf youtube Folge 1 der neu bearbeiteten Folgen ansehen).
Das interessante ist nun, dass wir diese Biene als Heldin für unsere Kindergeschichten erkoren haben. Warum? Denn sie ist selbstbewusst, lebensfroh und steht zu ihrer Individualität. Wie alle KinderheldInnen, die wir unseren Kindern in Film und Literatur so zeigen.
Warum dürfen also die HeldInnen in Film und Literatur ungezähmte, starke, wilde Wesen sein (Pippi Langstrumpf, Nils Holgerson, Heidi, Biene Maja, Ronja Räubertochter, Momo usw) aber unsere Kinder nicht?
Ich kritisiere da ganz offen unser (pädagogisches) System. Denn sobald ein Pädagoge, oder Psychologe, aber auf jeden Fall ein Profi, zu einem Elternteil hingeht, und sagt „ihr Kind stört“ wird niemand mehr nach der individuellen Aussage dieser Persönlichkeit suchen. Es wird versucht das Kind „anzupassen“. Im besten Fall zuerst mit Training, Lehre und so weiter. Wenn sich das Ganze aber nicht bessert, wird nach einer Erklärung gesucht. Und was würde besser passen als „ihr Kind ist krank“. Was für ein Stein muss dann den Eltern von der Brust fallen, wenn ein Profi sagt – dann sollte es ja stimmen. Und genau da liegt schon wieder der Hase im Pfeffer. Weil das keine Grippe ist, die mit einem Aspirin wieder gut ist. Aber damit das Kind wieder „funktioniert“, wird aus Rücksicht auf unsere Gesellschaft, auf das soziale System in dem wir leben, die Familie sich beugen. Wird brav Medikamente einnehmen. Wird eine nach wie vor unklare „Krankheit“ annehmen, wie andere eine Haarfarbe.
Wie wichtig ist dabei die Ursache? Gemäß dem ZDF Film „was ist los mit unseren Kindern“ liegen, laut dem Jugendpsychotherapeut Dr. Hans Hopf, soziale Störungen häufig zugrunde (Filmtipp1*). ADHS kann auch auf schwierige Familienverhältnisse zurück geführt werden, auch das Zusammenspiel zwischen Kind und Eltern funktioniert vielleicht nicht richtig (Filmtipp2**). Laut Dr. Schultz, entstehen Anpassungsstörungen bei Kindern die mit den Anforderungen ihrer Umgebung nicht zurecht kommen. (Filmtipp2**).
Und diese Dokumentationen bringen mich wieder zurück zur Biene Maja. Hat irgendjemand von ihr verlangt, sie solle nun im Bienenstock Waben bauen? Ihren Nektar abliefern? Biene Maja durfte ihre Welt auf ihre Art und Weise entdecken, sie durfte lernen was die anderen lernten, aber mit ihrer ganz persönlichen Note. Diese Biene ist keine kranke Biene, durch ihre Besonderheit verbindet sie sogar die Bewohner der Wiese.
Und das bringt mich zu unseren Kindern. Wer das Gefühl hat, da könnte er oder sie eine Biene Maja zuhause haben, der hat da eine/n ganz besondere/n Helden/Heldin. Denn da ist ein Kind das kompromisslos das Leben lebt. Das ehrlich ist, und manchmal viel zu laut (oder sportlich) für die erschöpften Erwachsenen. Und dieses Kind will genauso wie alle Teil unserer bunten Menschenwiese sein. Als Eltern können wir es unterstützen. Wir können ihm Hilfe durch Profis, Therapeuten, Pädagogen, Mediziner. anbieten. Die Pharmaindustrie gibt bloß eine Pille, das Leben meistern kann man nur selber, bzw mit professioneller Unterstützung. Wir können unseren Kindern lehren mit Gefühlen umzugehen, Präventionsprogramme bereits im Kindergarten ins Leben rufen. Neurofeedback, Verhaltenstherapie, so viele Möglichkeiten sind auch ohne Medikamente möglich. Zum Beispiel mit dem Programm „Faustlos„, hier wird schon im frühen Kindergartenalter der Umgang mit Impulsen geübt.
Ich kann verstehen, dass man müde ist, erschöpft, wenn man ein „Zappelphillipp“ Kind zuhause hat, vielleicht sogar eines, dass seine Impulse nicht kontrollieren kann. Ich weiß aber, dass wir alle unsere Kinder lieben, und daher liegt es in unserer Verantwortung ihnen das Beste für ihr Leben mitzugeben, dass uns möglich ist.
Ich muss gestehen, bei der Recherche zu diesem Beitrag wurde mir ganz schwindlig. Ein ständiger Kampf zwischen Beweis und Vermutung, Genetik und Umfeld. Aber immer wurde von Krankheit gesprochen. Ich denke solange wir in unseren Köpfen noch an Krankheit glauben, solange wird die Aufmerksamkeitsstörung weiterhin als Problem gelebt. Die traurige Wahrheit ist, Krankheit macht krank, Krankheit stigmatisiert zumeist. ADHS oder ADS Kinder sind einfach Kinder. Sie haben ihre Sorgen und Freuden wie alle anderen. Lassen wir ihnen ihre Kindheit, in der Wahrheit wie sie ihnen möglich ist, denn unsere Kinder sind wie ein Schulrucksack „Der Inhalt ist ähnlich, aber er ist nicht gleich“ (Filmtipp2**).
LINKS: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/was-ist-los-mit-unseren-kindern-adhs-und-andere-diagnosen-100.html
http://www.schulpsychologie.at/gewaltpraevention/praeventionsprogramme/faustlos/
http://www.bvpraevention.de/cms/index.asp?inst=bvpg&snr=9116
© katharina gindra-vady, oktober 2016 Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, dann klicke doch auf ein "Gefällt mir" bei Facebook, so kann ich dich optimal über alle News aus meinem Universum am Laufenden halten. https://www.facebook.com/birdiesworld.at/
4 Comments
Ein sehr guter Beitrag mit wichtigem Denkansatz! Als Pädagogin habe ich häufig mit unruhigeren Kindern zu tun. Die Kunst ist, a) mit der Vielfalt umzugehen und b) danach zu schauen, wie man für das Kind in der Schule eine ruhigere Lernsituation arrangieren kann, damit es sich in den wichtigen Phasen des Unterrichts besser konzentrieren kann. Wichtig für alle sind auch wechselnde Unterrichtsphasen, in denen auch der Bewegungsdrang der Kinder berücksichtigt wird. Wenn es mir zu unruhig wird, muss ich also immer auch auf mich schauen und bei der Ursache gucken. Oftmals bietet sich dann ein kurzes Bewegungsspiel für 3 Minuten an – danach kann es dann wieder konzentrierter weitergehen.
20. Oktober 2016 at 11:26Den Beitrag werde ich mal auf meiner Facebookseite teilen – das interessiert bestimmt auch weitere Leser 🙂
Liebe Grüße,
Yvonne
Sehr guter Ansatz. Wir sind auch „betroffen“. Die Grundschullehrerin meines Sohnes ist der festen Überzeugung, dass er ADHS hat. Seit 2 Jahren liegt sie uns damit in den Ohren, wir müssten ihn doch unbedingt mal testen lassen. Niemand anderes kommt zu diesem Ergebnis. Kein Trainer, keine Erzieherin vorher, kein anderes Elternteil (und wir sind mit vielen anderen Kindern und auch deren Eltern bekannt). Und nur mein Sohn hat ADHS? Ist aber gleichzeitig einer der Besten in der Klasse? Verstehe ich nicht.
21. Oktober 2016 at 11:51Glücklicherweise ist unser Kinderarzt einer ähnlichen Meinung wie wir – aufgeweckt ja, energiegeladen ja – aber nicht krankhaft.
Es gibt bestimmt Kinder, denen auch die Pille hilft, aber nicht allen – und manchmal hilft es auch, das Kind einfach mal so zu akzeptieren, wie es ist und es nicht immer mit dem ruhigsten Mädchen in der Klasse zu vergleichen…
Danke 🙂 Du hast vollkommen recht, manchmal ist es gut wie es ist. Vergleiche sind sowieso absolut unnötig, machen nur ungute Gefühle und bringen niemand weiter. Jedes Kind hat seine Besonderheiten und soll die auch leben dürfen. Leider ist es in manchen pädagogischen Systemen für die Kinder die über viel Power verfügen sehr schwer. Manchmal brauchen dann die PädagogInnen einen kleinen Stubs in die passende Richtung, damit sie (wieder) lernen alle Besonderheiten ihrer Schulkinder anzunehmen. Das wichtigste tut ihr bereits, ihr steht zu eurem Kind, nehmt ihn an wie er ist, und überlegt und reflektiert was für ihn passend und gut sein kann. lg katharina
21. Oktober 2016 at 14:13[…] Hier weiterlesen […]
28. Oktober 2016 at 16:08